26.11.2015

Sie haben keine Konzepte, um Fluchtursachen zu bekämpfen.

Rede zum Etat 2016 des Auswärtigen Amts

Michael Leutert
Redebeitrag von Michael Leutert (Die Linke) am 25.11.2015 um 13:06 Uhr (139. Sitzung, TOP I.10)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister! So viel Geld wie nächstes Jahr hat das Auswärtige Amt noch nie zur Verfügung gehabt - 4,8 Milliarden Euro -, und in den Haushaltsverhandlungen sind noch einmal 400 Millionen Euro obendrauf gekommen. Ein Grund zur Freude ist das allerdings nicht, wenn man sich einmal anschaut, wofür das Geld ausgegeben wird bzw. ausgegeben werden muss: Fast 2 Milliarden Euro fließen in die humanitäre Hilfe, die Konfliktbewältigung oder in UN-Friedenseinsätze.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Könnten wir dieses Geld für Auslandsschulen, für Partnerschaftsprogramme oder für das Goethe-Institut ausgeben, hätten wir einen Anlass zur Freude. So aber nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Aufgrund der vielfältigen Konflikte, mit denen wir konfrontiert sind, von Afghanistan über Irak, Syrien und Libyen bis Mali, sind wir gezwungen, das Geld in diese Bereiche zu lenken. Seitdem die Konflikte direkt bei uns angenommen sind - zum einen durch die vielen Menschen, die vor Krieg und Terror flüchten, zum anderen durch die Terroristen, die ihren Terror jetzt auch in die europäischen Städte tragen, und zwar den Terror, vor dem diese vielen Menschen, die als Flüchtlinge zu uns kommen, geflohen sind -, spätestens seitdem sprechen alle davon, Fluchtursachen zu bekämpfen.

Neuerdings gibt es natürlich noch ein paar ganz Schlaue, die der Meinung sind, man könne die Grenzen einfach dichtmachen, und damit hätte sich das Problem erledigt. Das wird derzeit auch unter dem Deckmantel der Obergrenzen diskutiert. Leute, die so argumentieren, denken, man könnte Deutschland verwalten wie ein Hotel: Wir sind überbucht, rufen Sie bitte nächstes Jahr noch einmal an. - Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, ist Traumtänzerei.

(Beifall bei der LINKEN - Alois Karl (CDU/CSU): Na, na, na!)

Wer dabei denkt, er könne am rechten Wählerrand fischen und der AfD Wähler streitig machen, der irrt sich gewaltig. Sie werden mit dieser Argumentation der AfD die Wähler in die Arme treiben. Sie helfen den extrem Rechten damit nur ins Parlament.

(Beifall bei der LINKEN)

Besser wäre es, sich ernsthaft mit den Fluchtursachen zu beschäftigen. Zur Bekämpfung von Fluchtursachen braucht man nicht immer viel Geld. Viel kann man auch mit Diplomatie erreichen. Eine Möglichkeit besteht zum Beispiel darin, Konflikte zu entschärfen. Nun ist die Koalition ja auf die Idee gekommen, dass die Türkei bei der Lösung der sogenannten Flüchtlingskrise ein Schlüsselland sein könnte. Um die Türkei dafür zu gewinnen, hat man ihren EU-Beitritt wieder ins Gespräch gebracht. Um diesbezüglich voranzukommen, muss allerdings der türkisch-kurdische Konflikt gelöst werden. Dieser Konflikt wiederum ist ein Puzzlestück des Dramas, welches sich mit dem IS in Syrien und im Irak abspielt. Solange aber die Türkei die Kurdinnen und Kurden politisch und militärisch bekämpft, solange die Türkei nicht willens ist, diesen Konflikt friedlich zu lösen, so lange werden wir in der Region eine Situation haben, die dazu führt, dass Menschen von dort fliehen. Das dürfen wir nicht hinnehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Schauen Sie sich bitte einmal die Wahlergebnisse der letzten Parlamentswahlen in der Türkei an. Dort hat die HDP, also die kurdische Partei, durchgängig 50 bis 85 Prozent errungen. Das sind Wahlergebnisse, von denen selbst die CSU in Bayern träumt.
Dann schauen Sie sich bitte das Wahlsystem der Türkei an. Dort gibt es eine 10-Prozent-Hürde. Wer weniger als 10 Prozent erreicht, sitzt nicht im Parlament. Nun stellen Sie sich das einmal auf Deutschland übertragen vor. Wie wäre das, wenn wir hier eine 10-Prozent-Hürde hätten? Dann wäre die CSU nicht mehr im Bundestag vertreten. Das würde vielleicht kurzfristig einige Probleme lösen, insbesondere die Kanzlerin hätte wieder mehr Freude am Tag; aber langfristig wäre dies, glaube ich, nicht vernünftig. Ich weiß nicht, wie sich die Bayern fühlen würden, wenn sie nicht im Bundestag vertreten wären,

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir sind vertreten!)

wenn sie nicht über ihre Schulen, über ihre Universitäten und über die Polizei selber entscheiden dürften, wenn all das hier in Berlin ohne sie entschieden würde und dann ihrem Aufbegehren auch noch mit Polizei, Geheimdienst und Militär begegnet würde. Der gesunde Menschenverstand sagt uns, dass dies kein sinnvoller Weg wäre.

Aus diesem Grund würde ich es für sinnvoll halten, wenn Sie, Herr Außenminister, Vertreter der Türkei und die Kurdinnen und Kurden nach Deutschland einladen, vielleicht nach Berlin oder nach München, um mit ihnen gemeinsam einen friedlichen Ausweg zu finden.

(Beifall bei der LINKEN)

Ganz klar ist: Auch die PKK muss mit am Tisch sitzen. Aber das dürfte derzeit kein Problem sein, nachdem nun die Amerikaner mit dem PKK-Ableger in Syrien militärisch kooperieren. Das wäre ein konkreter Schritt zur Bekämpfung von Fluchtursachen, der nicht einmal viel Geld kosten würde. Alle anderen derzeit im Zusammenhang mit der Türkei diskutierten Maßnahmen, zum Beispiel eine gemeinsame Grenzsicherung oder finanzielle Unterstützung der momentanen Struktur in der Türkei, sind keine Beiträge, um Fluchtursachen zu bekämpfen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Dadurch wird das Problem nur verschoben, und zwar zulasten der Menschen, die vor Terror und Krieg fliehen. Das lehnen wir ab.

Sie können von uns keine Zustimmung zu diesem Haushalt erhalten,

(Alois Karl (CDU/CSU): Schade!)

auch wenn Sie viel Geld für humanitäre Hilfe ausgeben. Entscheidend sind die Konzepte, mit denen Sie die Ursachen bekämpfen wollen. Mit diesen sind wir nicht einverstanden. Einen Vorschlag, wie es anders gemacht werden könnte, habe ich Ihnen hier präsentiert.

(Beifall bei der LINKEN)

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